Teresa Jurado

Interview mit
Prof. Dr. Teresa Jurado

Frau Jurado, Wie fühlt sich das an, wenn Sie Post aus Weinheim bekommen, der Stadt, in der Sie aufgewachsen sind?
Ich freue mich, weil Weinheim viele schöne Erinnerungen und positive Gefühle in mir weckt.Ehe wir zu den großen Fragen kommen, ein paar persönliche.
Sie kamen 1968 in Viernheim auf die Welt, wenige Jahre später zogen Ihre Eltern nach Weinheim. Welches sind Ihre frühesten Erinnerungen?
Die Spielecke im Kindergarten „Schatzinsel“, der erste Kindergeburstag meines Freundes Stefan, meine Schildkröte und unsere Spiele zuhause.

Wie haben Sie diese Situation damals erlebt?

Ich habe nur positive Erinnerungen an meine Zeit im Kindergarten. Ich erinnere mich gerne an die zwei Erzieherinnen, dich ich hatte und an meine FreundInnen. Wir haben viel gespielt. Meine Eltern sind damals mit mir ins Kino gegangen, um Schneewitchen und die sieben Zwerge zu sehen, und ich habe dann gerne die Rolle der Hexe in unseren Spielen übernommen. Hexen fand ich immer toll, auch „Die Kleine Hexe“, deren Schaltplatte ich sehr oft gehört habe.

Wie haben Sie die Sprache der Fremde erlernt?

Ich habe Deutsch im Kindergarten gelernt. Meine Mutter hat mir am ersten Tag ein paar Deutsche Wörter mitgegeben und damit konnte ich mich verständigen. Ich habe dann automatisch Deutsch gelernt, ohne Anstrengung, einfach so. Am Anfang wusste ich manchmal nicht ob ein Wort Deutsch oder Spanisch ist oder ich habe beide Sprachen gemischt. Meine Eltern haben immer darauf geachtet, dass wir zuhause nur Spanisch sprachen und Deutsch in der Schule und mit deutschen Freunden.

1978 gingen Sie aufs Heisenberg-Gymnasium. War das selbstverständlich? Und warum aus Heisenberg-Gymnasium. Das damals noch nicht diesen Namen trug. Welches sind Ihre wichtigsten Erfahrungen in den ersten Jahren Ihrer Schulzeit?

Nein, das war gar nicht selbstverständlich. Damals gab es die verbindliche Grundschulempfehlung, das heisst nur ab einem bestimmten Notendurschchnitt konnte man aufs Gymnasium gehen. Wir haben auch eine Art Abschlussprüfung in der vierten Klasse ablegen müssen. Mein Notendurschnitt war knapp an der Grenze und meine Grundschullehrerin hat meinen Elten mitgeteilt, dass ich auf die Realschule gehen sollte. Meine Mutter war nicht damit einverstanden, und hat erfahren, dass man in so einem Fall die Teilnahme an einer Aufnahmeprüfung im Gymnasium beantragen konnte, aber mit der Drohung bei Nichtbestehen müsste ich dann auf die Hauptschule. Ich habe mich auf diese Prüfung vorbereitet, vor allem im Diktat schreiben, weil ich immer viele Rechtschreibefehler hatte. Im Statdjugendring gab es ein paar nette junge Gymnasiastinnen, die mit mir für die Aufnahmeprüfung geübt haben. Ich erinnere mich an den Mathematiktest, das Diktat und das Vorlesen.Ich habe die Aufnahmeprüfung bestanden, aber dann gab es auch sechs Monate Probezeit. Die erste Zeit war nicht einfach, weil ich einen grossen Leistungdruck spürte, aber danach wurde ich ruhiger. Ich erinnere mich vor allem an meine Freundin Dagmar und unsere abenteurliche Erkundigungen im Wald und in der alten Mühle. Ich verbrachte auch viel Zeit mit Hausaufgaben und Lernen, bei denen am Anfang meine Mutter viel geholfen hat, aber das Schwierige und Unangenehme vergisst man gerne. Es gab auch einen Jungen der mich bedroht hat, aber meine Freundin stand mir zur Seite und wir haben ihm zusammen widerstanden.

Sie gründeten 1983/84 (?) mit anderen jungen Leuten von Einwanderungseltern eine Zeitschrift. Sie nannte sich „Ohne Scheiß“.
Ein bemerkenswerter Titel für ein Zeitschrift

Das war 1987, wir haben insgesamt vier Ausgaben bis 1989 herausgegeben. Der Titel entsprach unserer Umgangssprache und war dreisprachig „Ohne Scheiss-Sin cachondeo-Filhakika“, deutsch-spanish-türkisch und sollte junge Leute ansprechen, aber auch darauf hinweisen, dass es um ernste und politische Themen ging. Es war eine interessante und schöne Erfahrung, weil wir lernen mussten zusammenzuarbeiten, Kompromisse einzugehen, Konflikte auszuhalten, und weil auch langfristige Freundschaften entstanden sind, die bis heute anhalten. Ob wir etwas bein den Lesern bewirkt haben, ist schwerer einzuschäten, weil es gar nicht soleicht war die Zeitschrift nach all der Anstrengung mit Schreiben, Illustrieren und Layout, dann an Jugendliche zu verkaufen. Auf jeden Fall haben wir damals schon im Kleinen ein Art europäische Zusammenarbeit ausprobiert. Wir haben sogar von der Europäischen Gemeinschaft damals einen Zuschuss bekommen, weil wir als Jugendgruppe Teil des Stadtjugendrings waren.

Bei der Verleihung des Rolf-Engelbrecht-Preises an Ihre Mutter Maria Guerrero sagten Sie, das Spanische Zentrum sei Ihre (zweite?) Heimat gewesen.
Was meine Sie damit?

Meine Heimat sind Deutschland und Spanien, wobei im meinem Fall, ausser meinen Eltern und der Familie in Spanien, auch das Spanische Zentrum meine spanische Sozialisation ermöglicht haben. Dort habe ich viele Leute kennengelernt, Freundschaften geschlossen, und ich habe Spanisch gesprochen und Vorträge und Filme in spanischer Sprache erlebt. Ich habe auf diese Art spanische Kultur gelernt und fühlte mich dort auch sehr heimisch, das heisst gefühlsmässig gut aufgehoben. Es war ein Teil meiner Freizeit und ich hatte mit anderen spanischen Jugendlichen mehr Gemeinsamkeiten als mit manchen SchulkollegInnen.

Sie haben in Mannheim und Florenz studiert, waren später bei der Freudenbergstiftung für Europäische Projekte zuständig und leben jetzt in Spanien. Sind Sie Europäerin?

Ich hatte das grosse Glück tolle Eltern zu haben, die mich lieben und sich um meine Zukunft gekümmert haben. Sie haben mich immer ermutigt und unterstützt, um zu studieren, um mein DAAD Stipendium für einen Aufenthalt in Frankreich aufzubessern. So konnte ich schon früh meiner Reise und Abenteuerlust freien Lauf lassen. Ja, ich bin durch und durch Europäerin, weil ich in der Schule Deutsch, English und Französich gelernt habe und zuhause Spanisch. Damit konnte ich meine europäischen Auslandsaufenthalte gut ausnutzen und geniessen. Ich habe überall, in Frankreich, in Italien und in Spanien, neue, nützliche und schöne Dinge erlebt und gelernt. Rezepte aus allen Länder ausprobiert, neue Freundschaften geschlossen, vieles über die Geschichte und Gesellschaft dieser Länder gelernt und zur Überzeugung gelangt, dass die kulturelle Vielfalt eine Bereicherung ist für vieles, insbesondere für Musik und Tanz. Das Erleben gesellschaftlicher Unterschiede gibt einem auch viele politische und praktische Ideen für ein besseres Leben und Zusammenleben, z.B. was man für den Erhalt der Umwelt besser machen kann, wie man die eigene Lebenseinstelllung verbessern kann oder auch das Erkennen positiver Seiten deiner Gesellschaft.Mein Studium in Mannheim und meine Arbeit bei der Freudenberg Stiftung haben mich sehr im Positiven geprägt und das habe ich mit nach Spanien genommen, wo ich nun seit 2000 lebe und arbeite.

Welche Themen beschäftigen Sie zurzeit persönlich-politisch und welche wissenschaftlich?

Ich versuche zur Zeit meine persönlich-politischen und wissenschaftlichen Themen zusammenzubringen, weil ja die Zeit immer knapp ist. In 2008 lernte ich eine Bürgerinitiative kennen, die sich für das gleichee Recht auf Vaterschafts-, Mutterschafts- und Elternzeitleistungen einsetzt, als Mittel um Chancengleichheit für Frauen und Männer zu erreichen. Wir Frauen kümmern uns immer noch mehr als Männer um die Erziehung und Pflege der Kinder, um die Hausarbeit, und diese ungleiche Arbeitsteilung in der Familie ist eine grosse Hürde für unsere Entwicklungsmöglichkeiten und für unsere Gleichstellung im Beruf und im öffentlichen Leben. Dazu forsche ich nun auch seit 2011. In den letzten Jahren haben wir mehrere Forschungprojekte durchgeführt zum Thema Übergang zum ersten Kind und Geschlechterungleichheit und zum Thema Vereinbarung vom Familie und Beruf für Männer.

Welches sind die Ergebnisse Ihres europäischen Forschungsprojekts „Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer“? Was ist die europäische Aktion „Men in care“?

Das Forschungsprojekt war auf Spanien begrenzt und wir haben gefunden, dass immer mehr Väter sich aktiv um ihre Kinder kümmern, aber manche Arbeitsplätze und Betriebskulturen machen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie schwer. Wir haben nach den Bedingungen gesucht, die es Vätern leichter macht sich um ihre Kinder zu kümmern. Ein Ergebniss ist, dass Väter mehrheitlich nur solche Familienleistungen annehmen, die nicht ihr Einkommen reduzieren, z.B. gut bezahlte Elternzeit, Gleitarbeitszeiten und Homeoffice. Die meisten Männer wollen Kinder betreuen, aber nicht auf Kosten ihrer Verdienerrolle. Die Europäische Kommission kennt ähnliche Forschungsergebnisse und hat deshalb in der neuen Richtlinie zur Vebesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie Mindeststandards für Elternleistungen vorgeschlagen, damit sie von Vätern angenommen werden: zehn Tage vollbezahlter Vaterschaftsurlaub und ein viermonatiges individuelles Recht auf gutbezahlte und nicht übertragbare Elternzeit. Die europäische Aktion „Men in Care“, die von der UNED (spanische Fernuniversität) koordiniert und der Kommission bezuschusst wird, möchte in sieben Ländern, Island, Norwegen, Deutschland, Österreich, Poland, Slowenien und Spanien, Massnahmen zur Förderung von aktiver Vaterschaft in Arbeitsplätzen vorschlagen und wissenschaftlich begleiten.

Sind Sie in Spanien auch politisch aktiv?

Ich bin in der Bürgerinitiative „PPiiNA“ für gleiche, nichtübertragbare und 100% bezahlte Elternzeit aktiv (www.igualeseintransferibles.org). Wir erklären PolitikerInnen und der Öffentlichkeit welche negativen Effekte der unterschiedlich lange Mutterschafts- und Vaterschaftsurlaub in Spanien auf die Chancengleichheit von Frauen und Männern hat. Geschlechterstereotype schreiben Müttern die Kinderbetreuung und Vätern die Erwerbsrolle zu, obwohl Frauen und Männer beides können, Beruf und Kinderbetreuung vereinbaren. Wir haben einen Teil unserer Forderungen schon durchsetzen können, denn seit 2018 ist der Vaterschaftsurlaub auf fünf Wochen erhöht worden und in der jetzt zu Ende gehenden Legislaturperiode hat eine Mehrheit der Parteien für die Gleichstellung von Vater-und Mutterschaftsleistungen gestimmt. Falls dies Realität werden sollte, hätte Spanien als erstes Land in der Welt gleiche Elternzeit für Mütter and Väter, als individuelles und nichtübertragbares Recht und mit voller Lohnerstattung. In Spanien wären das 16 Wochen für die Mutter und 16 Wochen für den Vater.

Welches sind derzeit die wichtigsten Fragen, die Spanien beschäftigen?

Der katalanische und spanische Nationalismus, die sich gegenseitig aufschaukeln; die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen; die hohen Wohnungspreise und die sexuelle, physische und psychologische Gewalt gegen Frauen.

Katalanien ist international zurzeit nicht in den Schlagzeilen . Wie stehen Sie zu diesem Thema?

Ein schwer zu lösendes Problem, weil die Bevölkerung in Katalonien in zwei geteilt ist. Die eine Hälfte will die Unabhängigkeit von Spanien und die andere nicht. Nach all den Vorfällen im Oktober 2018, als die Katalanen zu einer nicht authorisierten Wahlteilnahme an einen Referendum zur Unabhängigkeit aufgerufen wurden und die Polizei an manchen Orten mit Gewalt die Wahl untersagen wollte, sind die Gemüter aufgeheizt. Die emotionale Distanz zwischen den Lagern ist enorm und die Feindschaft gegen Katalonien im allgemeinen ist weitverbreitet. Die feindseligen Gefühle vergrössern den Konflikt innherhalb von Familien, Freundesgruppen und haben ihn auch in die sozialdemokratische Partei hineingetragen. Ausserdem hat er der rechstextremen Partei Vox Flügel gegeben und die konservative Partei radikalisiert. Derzeit findet ein grosser öffentlicher Prozess gegen die Anführer des Referendums und der Unabhängigkeitserklärung statt, um zu entscheiden of ein Teil der katalanischen Politiker zur Rebellion oder Aufruhr gegen den Staat aufgerufen haben und ob sie öffentliche Gelder veruntreut haben. Dieser Prozess und die Konfrontation über die Lösung des Problems hat nun das normale politische Tagesgeschäft gelähmt und den Beschluss des neuen Staatshaushalts unmöglich gemacht. Die Hardliner möchten die katalanische Regierung ausschalten und die sozialdemokratische Minderheitsregierung hat versucht, über einen Dialog kleine Schritte hin zu einer Befriedung zu gehen.

Noch einmal zurück zu Ihnen: Sie haben eine Tochter. Wie alt ist sie?

Meine Tochter ist 16 Jahre alt, sie spricht Spanisch und Englisch und verreist auch gerne. Sie geht auf eine Schule mit wenigen MigrantInnen und hat leider nur kurzzeitig Kontakt zu anderen Kulturen gehabt. Am meisten zur deutschen Kultur über micht und wenn wir in Deutschland Urlaub machen.

Wird sie eine „europäische“ Zukunft haben?

Ja, sie hat schon öfter geplant, eine Zeit lang in einem anderen Land zu verbringen. Sie hat die sprachlichen Kenntnisse, um eine aktive europäische Staatsbürgerschaft usüben zu können, und ich hoffe sie wird auch noch ein grösseres Interesse an europäischen Themen entwickeln. Ich denke Europa wird die derzeitige Legitimationskrise überstehen und ich hoffe die europäischen Institutionen werden die Kraft und Intelligenz haben, um die politische Union zu stärken und den Ungleichgewichten und Schwachpunkten der Währungsunion entgegenzuwirken.