Ach Europa! In den 1980er Jahren war das einmal ein betont freudiger Ausruf von Hans Magnus Enzensberger, der in einer Sammlung von Essays über einzelne Länder die Vielfalt und die Diversität, ja, den nationalen Wirrwarr geradezu als eine Stärke Europas pries. Auch Ungarn und Polen schloss er damals als eigenwillige Stimmen in dieses sympathische europäische Staatenkonzert mit ein.

Seitdem sehen wir vieles anders. Jürgen Habermas griff Enzensbergers „Ach Europa!“ auf, als er fast dreißig Jahre später, 2008, einen kleinen Essayband veröffentlichte. „Von Enzensbergers Lobgesang auf die europäische Vielfalt – Ach Europa! – bleibt heute nur noch der seufzende Ton“, schrieb er und gab seinem Büchlein angesichts einer unklaren Zukunft der Europäischen Gemeinschaft ebenfalls, wenn auch in nachdenklicher Stimmung, den Titel „Ach Europa“.

Sorgen der EU sind nicht kleiner geworden

Und bis heute – oder gerade heute? – sind die Sorgen um die Europäische Union nicht kleiner geworden. Die Zeit ist wohl vorbei, als sich die Europakritik populistisch am Verbot krummer Gurken und Glühbirnen festbiss. Heute heißen die existentiellen Herausforderungen für den Zusammenhalt der EU: Klimakrise, Energieversorgung, Globalisierungsrisiken, Rechtspopulismus und aktuell: militärische Zusammenarbeit.  Auch wohlmeinende Europäer können ihre Sorgen nicht verhehlen.

Um es an dieser Stelle kurz zu machen: Vor fünf Jahren hatten sich einige Bürgerinnen und Bürger in Weinheim zusammengefunden mit dem Ziel, für die europäische Idee zu werben und zur Teilnahme an der damals anstehenden Wahl zum Europaparlament aufzurufen. Und sie hatten sich entschlossen, dem eher resignativen „Ach Europa“ ein trotziges und kämpferisches „Doch Europa!“ entgegenzusetzen. Und das wollen wir von heute an bis zum Juni 2024 erneut tun.

Werben für die europäische Idee

Mit einem bunten Programm aus Vorträgen und Unterhaltung will unser Bündnis von VHS, Musikschule, Stadtverwaltung, Weinheim Bleibt Bunt, Bürgerstiftung, Jugendmedien und anderen die Menschen in Weinheim über Europa informieren, darüber diskutieren und für die europäische Idee und Kultur werben. 

Aber war da nicht noch etwas? Richtig: Ein Parlament soll neu gewählt werden. Ein Parlament, das Kernstück der Demokratie, wo mit Worten um die beste Politik für das Gemeinwesen gestritten wird. 175 Jahre nach der Revolution 1848/49 wird in Deutschland gerade an die Kämpfe für Gerechtigkeit, Bürgerrechte und Demokratie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gedacht. Im Mittelpunkt stand das erste frei gewählte deutsche Parlament, das in Frankfurt die erste freiheitliche Verfassung verabschiedete, deren Kernsätze noch heute, 175 Jahre später, zum Teil wortgleich in unserem Grundgesetz stehen. Die Erinnerung an 1848 sollte Anlass genug sein, sich für ein starkes europäisches Parlament einzusetzen, dessen frei gewählte Angeordnete einen entscheidenden Einfluss auf die Politik des vereinten Europas haben sollen. Den europäischen Idealen und der demokratischen Mitbestimmung soll deshalb in den kommenden Monaten unser Engagement gelten.

Alexander Boguslawski