Eine frühgotische Kirche in Paris brennt nieder und ganz Europa will sie wieder aufbauen. Aus den brennenden Mauern steigt nicht nur beißender Rauch, sondern auch so etwas wie ein europäischer Geist scheint sich daraus zu erheben. Ohne genaue Worte dafür zu finden, empfinden die Menschen in Europa eine Zusammengehörigkeit im Zeichen der Katastrophe.

Und wie auch anders? Auf der Ile de la Cité siedelten die Römer der Antike, sie brachten die Kultur des Mittelmeerraums hierher. Später wurde Paris ein Ort, der über Jahrhunderte Dichter, Wissenschaftler, Theologen, Musiker und Philosophen anzog, ebenso wie von hier kulturelle Einflüsse in alle Teile Europas ausstrahlten.

Und wir werden daran erinnert, dass alles, was bis heute Europa ausmacht, das Ergebnis eines ewigen Austauschs von Ideen, Erkenntnissen und Bekenntnissen ist, ohne den weder unsere Art zu wirtschaften, zu bauen, Staaten zu gründen, die Natur zu erforschen, ethische Maßstäbe zu entwickeln noch Kunst zu schaffen denkbar wären.

Wie kurzsichtig und kleingeistig erscheinen dagegen alle Versuche der jüngeren Zeit, die meinen, ihre eigene, „reine“, nationale Kultur abschotten und vor fremden Einflüssen schützen zu müssen. Wie vorsintflutlich muten da die Schließung von Universitäten an, an denen Ausländer lehren, und die Verhinderung von Theatergastspielen aus anderen Ländern.

„Gehört“ Notre Dame nur den Franzosen, „gehört“ Chopin den Polen, Picasso den Spaniern, Joseph Roth den Österreichern oder List den Ungarn? Es sind alles Europäer. WIR sind Europa, ohne die Anderen gäbe es uns nicht. Die brennende Kathedrale erinnert uns an diese europäische Zusammengehörigkeit, ebenso wie wir uns selbst daran erinnern müssen, nicht zuzulassen, dass die europäische Idee von den ewig Gestrigen zerstört wird.

Text von Dr. Alexander Boguslawski

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