13.02.2019.
Es war einmal
Es war einmal ein Graf. Dieser Graf lebte in der Habsburg-Monarchie, die zu dieser Zeit noch keine Österreichisch-Ungarische Monarchie war. Obwohl dieser Graf ein Ungar war und er im westlichen Teil des Ungarischen Königreichs lebte, sprach er kein Ungarisch. Er war der reichste Mann im Land. Als er noch sehr jung war, war er Offizier und später reiste er um die Welt, von Großbritannien bis Indien. Er sprach Deutsch, Lateinisch, Englisch und Französisch, aber kein Ungarisch. Seine Leibeigenen und viele Leute, mit denen er zu tun hatte, waren Ungarn und sprachen diese Sprache, er selbst aber nicht.
Er war schon mehr als dreißig Jahre alt, als er sich verliebte. Leider liebte er eine verheiratete Frau. Diese Frau war eine ungarische Gräfin. Unser Graf wollte etwas Großzügiges machen, weil er wusste, dass Frauen großzügige Männer lieben. Er hat über dieses Problem nach- und nachgedacht und am Ende hatte er eine Idee. Als hoher Adliger war er Parlamentsmitglied. Also ging er im Jahr 1825 in die Nationalversammlung in Pozsony (heute Bratislava in der Slowakei) – da war er schon 34 Jahre alt und sprach noch kein Ungarisch – und dort hat er ein ganzes Jahreseinkommen seines Besitzes für die Gründung einer Akademie angeboten, die sich mit der Pflege der ungarischen Sprache und anderer Wissenschaften beschäftigen sollte.

Nicht vergessen: Er war damals der reichste Mann im Land. Diese Akademie ist seitdem die Magyar Tudományos Akadémia, die Ungarische Akademie der Wissenschaften.
Mehr als zehn Jahre später, nach dem Tod ihres ersten Mannes, heiratete die Gräfin den Graf. Bis dahin hatte dieser Graf mit dem Bau der ersten Brücke zwischen Buda und Pest begonnen (nämlich die Kettenbrücke) und er schrieb sogar mehrere glänzende Bücher auf Ungarisch. Diese Bücher beschäftigten sich mit der Ökonomie des Landes – Graf István Széchenyi, das war sein Name, war ein Liberalkonservativer im Geist von Adam Smith. Die Akademie bekam also sein Eigentum – später gab es noch weitere Spender. Bis zum Ende des zweiten Weltkriegs hatte die Akademie nicht sehr viel mit der Staat zu tun. Die Akademie war unabhängig. Natürlich wollten Politiker immer den Akademikern sagen, was sie tun sollten, aber es gab Grenzen.

Dann in den 1940er Jahren – das heisst, nach dem kommunistischen Putsch – hat man das Eigentum der Akademie – wie eigentlich alles Privateigentum – verstaatlicht. Und obwohl nach der demokratischen Wende im Jahre 1990 der Staat viele Rechte an die Akademie zurückgegeben hat (Rechte sind kein Eigentum), das Eigentum der Akademie gab der Staat nicht zurück.
Und weil der Staat das Eigentum der Akademie nicht zurückgab, ist die Akademie abhängig vom Staat. Man sollte wissen, dass die Akademie heutzutage nicht nur ein Verein von Wissenschaftlern ist, sondern auch ein großes Netzwerk von Forschunginstituten. Und seit einige Monaten gibt es einen Kampf um diese Institute.

Letztes Sommer hat das ungarische Parlament ein Gesetz verabschiedet. Im Kern nimmt dieses Gesetz der Akademie das Recht weg, über die Verwendung der Gelder, die bisher der staatliche Haushalt für die Akademie bereitgestellt hat, selbst zu entscheiden. Die Akademie kann zwar Akademiker und Forscher bezahlen, aber seit dem 1. Januar diesen Jahres zahlt der Staat die sonstigen Ausgaben für das Netzwerk der Forschunginstitute nicht mehr. Die rechtliche Lage ist ein wenig kompliziert, der Kernpunkt ist aber der, dass der Staat die Institute selbst führen und dirigieren will. Keine Unabhängigkeit mehr, keine eigene Forschung. Grundlagenforschung ist unnötig, die Sozialwissenschaften sollen die Politik der Regierung unterstützen, Historiker werden bezahlt von den Feinden des Landes, natürlich von Herrn Soros – das sagen verschiedene Vertreter der Regierung ganz ernsthaft, mit einem ernsten Blick. Am 12. Februar gab es ein Demonstration vor der Akademie der Wissenschaften. Der Vorstand der Akademie – obwohl manche Leute von ihnen ganz nah an der Regierung sind – hat Nein gesagt zu den Forderungen des Innovationsministers, der selbst ein Mitglied der Akademie ist.

Wir in Ungarn sind aber nie mehr optimistisch. Die Macht dieser Mafia-Leute kann alles machen. Wir haben kaum noch unabhängige Institutionen, die freie Presse steckt in einer kleinen Ecke, und solche Wähler, für die eine Akademie nur ein Luxus ist, werden immer zahlreicher als die Wähler, die wissen, warum die Unabhängigkeit der Wissenschaft wichtig ist.
Man sagt bei uns heute: Graf Széchenyi hat ein ganzes Jahreseinkommen seines Besitzes für die Gründung einer Akademie angeboten – und Orbáns sogenannter Innovationsminister hat ein ganzes Jahreseinkommen der Akademie für Herrn Orbán angeboten. Und man meint es sogar persönlich. Wie ich es oben sagte, war Graf Széchenyi damals der reichste Mann im Land. Der reichste Mann im Ungarn von heute ist ein sogenannter Freund von Herrn Orbán. Aber man glaubt, dass der wahre Name dieses Freundes ist Viktor Orbán.

Péter Fábri, Budapest

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